Azymuth bringen Rio nach Berlin!

Wir waren bei dem Konzert am 23. Mai im A-Trane dabei und sprachen mit den Erfindern des „Samba Doido“

Wenn man José Roberto Bertrami, Ivan Conti und Alex Malheiros auf der Straße treffen würde, würde man sie für drei ältere Herren aus der Nachbarschaft halten, solche, die in Latschen in den Supermarkt gehen und sich auf der Bank vor dem Wohnhaus treffen, um ein wenig über das Leben zu sinnieren. Doch die Mitglieder von Azymuth sinnieren nicht über das Leben, sie leben es einfach – und sie liefern den perfekten Soundtrack dazu, zuletzt mit dem dieses Jahr erschienenem Album „Aurora“ (far out recordings).

Das A-Trane in Berlin ist an diesem Abend prall gefüllt, einige Pressevertreter sind gekommen, doch vor allem viele Fans, die sich die Möglichkeit nicht entgehen lassen wollten, das so selten in Deutschland auftretende Trio endlich live zu erleben. Als sich die Musiker an den Tischen vorbei auf die Bühne gedrängt haben, spürt man, dass sie sich seit über 40 Jahren kennen, und vergisst gleichzeitig, dass jeder von ihnen auf die Siebzig zugeht. So viel Energie und Musikfreude liefern manchmal nicht einmal jüngere Bands, gleich welchen Genres. Es ist erstaunlich, welch Opulenz die Stücke von Azymuth haben, wenn man bedenkt, dass zur Grundausstattung lediglich Keys, Schlagzeug und Bass gehören.

Bertrami an den Keys trägt einen alten Schlapphut und hat stets ein verschmitztes Lächeln in den Augen, Conti (dr) lässt seine Gesichtszüge mit der Musik mitgehen, wie es normalerweise Jazzpianisten eigen ist, Alex Malheiros – Vater der erfolgreichen Sängerin Sabrina Malheiros – zupft cool und souverän an seinem Bass. Mühelos spielen sie ihre großartigen, stilübergreifenden Stücke – 37 Jahre gemeinsamen Schaffens lassen sich schwer auf einen Abend reduzieren, und doch wäre jede Auswahl eine gute. „Carioca“ steht an diesem Abend auf der Setlist, „May i have this dance“ und „Partido“, „Dear Limmertz“ und zum Schluss eine Kurzversion des sonst zehnminütigen „Jazz Carnival“. Ihren Kollegen, die Bossa-Legende Tom Jobin ehren sie mit einer Interpretation seines „Águas de Março“. Zunehmend kommen im Publikum Füße und Köpfe in Bewegung, in allen Gesichtern erstrahlt ein Lächeln. Man gibt zurück, was man bekommt. In der Pause gelingt es, die Herren zu einem kleinen Interview zu überreden – so eine Gelegenheit bietet sich nicht oft. Während Malheiros und Bertrami im Bandraum auf dem Sofa chillen, erzählt uns der offene und herzliche Conti von der Zusammenarbeit mit der Berliner Combo Jazzanova, von der Verrücktheit des Samba und davon, wie wichtig Respekt für das Schaffen sei. Dann geht es auch schon weiter, schnell noch eine Umarmung und das Trio steigt wieder auf die Bühne.

Es ist schön, solche Musik in einem kleinen Rahmen zu genießen, und doch wünschte man sich für Azymuth einen Raum, der ihrer Musik gerecht mehrere Hundert Zuhörer fassen könnte, am liebsten unter der Sonne Brasiliens, mit genügend Platz zum Tanzen und einem coolen Drink in der Hand. Den coolen Drink bekommt man auch im A-Trane, man kann sich damit trösten, dass sich Brasilien und Deutschland dieselbe Sonne teilen, und wenn Azymuth nach Berlin kommen, will man nirgendwo anders sein. Denn Azymuth bringen Rio nach Berlin. Und dafür: muito obrigado!

„Aurora“ knüpft wie schon der Vorgänger „Butterfly“ direkt an Azymuths klassische Phase in den frühen achtziger Jahren an – die Produktion und die Effekte, Melodien und Rhythmen kommen im Gegensatz zu den 90er Jahren wieder ohne zusätzliche Beats aus. Das Zentralstück „In My Treehouse“ zum Beispiel könnte auch von Klassikern wie „Outubro“ oder „Telecommunication“ stammen. Conti, Bertrami und Malheiros verlieren sich dabei nicht in Wiederholungen, sie zelebrieren ihre Besonderheit. Die Kombination aus einem Bass, der den puren Funk spielt, den Melodien und den elektronischen, stimmungsintensiven Flächen zwischen Jazz und Verträumtheit, sowie ein treibend, verspieltes Samba Schlagzeug – Azymuth waren und sind zeitlos, einmalig und unverwechselbar. Sie erschaffen weiterhin ihren eigenen, futuristischen Kosmos. Vielleicht leben sie dort auch.

Azymuth „Aurora“, Far Our Recordings 2011

Agnieszka Debska

CKLKH Fischer

Joanna Ratajczak